Brauche ich Beratung, Coaching oder Therapie?

Immer wieder werde ich gefragt: soll ich jetzt zum Coaching oder zur Beratung? Ja, was ist eigentlich der Unterschied?  

Beratung und Therapie werden oft so beschrieben, dass man mit der Vergangenheit arbeitet, das Familiensystem analysiert, Erlebnisse und auch Traumata in der Vergangenheit «bearbeitet». Diese Einsichten helfen uns zu verstehen, durch welche Erfahrungen und Prägungen wir der Mensch geworden sind, der wir heute sind, warum wir so denken, fühlen und handeln wie wir es tun. Wenn wir unser eigenes Verhalten sowie Denk – und Handlungsmuster unserer Familie und anderer prägender Menschen reflektieren, wenn wir uns auch sorgfältig und sorgsam verdrängte oder unbewusste Persönlichkeitsteile bewusst machen, lassen wir uns davon nicht mehr automatisch leiten und blockieren. Wobei die Geister geteilt sind über die Frage, ob manchen nicht auch besser vergessen und verdrängt bleiben soll – das ist nur wieder ein anderes Thema. Die Therapie wendet sich ausserdem besonders an Menschen, die unter schweren psychischen Erkrankungen leiden.

Natürlich sind in den letzten 100 Jahren unterschiedlichste Therapie-Ansätze entwickelt worden. Manche sind eher «tiefenpsychologisch», andere sehr verhaltens- und lösungsorientiert. Viele Ansätze haben traditionelle Weisheiten und Methoden integriert, sodass heute häufig mit Körper-zentrierten oder Achtsamkeits-basierten Strategien gearbeitet wird, die uns helfen, Lösungen nicht nur auf intellektueller, sondern auch auf körperlichen Ebene zu finden.  

Coaching hingegen wird oft als pragmatischer, lösungs-und ressourcenorientierter Ansatz verstanden. Hier geht es in der Regel darum, konkrete Ziele zu erreichen und «Potenziale» zu entfalten. Der Klient – nicht der Patient! – wird als Experte/ Expertin für sein oder ihr eigenes Leben gesehen. Der Coach/die Coachess wird oft als «Bergführer» beschrieben, der/die dem Klienten, der Klientin hilft, den Weg zum Gipfel zu finden. Den Weg muss diese/r aber selbst gehen. Das Ziel sollte im Rahmen einer von Anfang an begrenzten Anzahl Coaching-Sessions erreicht werden. Der Erfolg ist insofern messbar, als von Anfang an definiert wird, wie man die Zielerreichung messen kann.

Meiner Erfahrung nach, lassen sich die Methoden allerdings nicht so klar voneinander abgrenzen. Vielleicht kommt ein Klient, weil er abnehmen möchte und kann sich auch ein sehr konkretes Ziel setzen, wie z.B. in ein bestimmtes tailliertes Hemd zu passen. Im Laufe des Coachings stellt sich aber heraus, dass der Klient bereits sehr gut weiss, wie er abnehmen kann – Snacks vermeiden, in Ruhe etwas gesundes Essen, anstatt ein Sandwich lunch vor dem Computer, regelmässig in die Gym. Und dann passiert es wieder: ein Anruf von seiner Ex – und alle guten Vorsätze sind über Bord. Es wird wieder non-stop gearbeitet, um die unangenehmen Gefühle nicht zu spüren, comfort und convenience Food steht auf dem Menu und für die Gym ist keine Energie mehr übrig. An dieser Stelle ist es hilfreich, auch auf therapeutische Methoden zurück greifen zu können, die helfen, die Ursachen dieser Muster zu erkennen.

Umgekehrt kann es sein, dass eine Klientin kommt, weil sie eine bestimmte Dynamik in ihrem Familiensystem verstehen (und analysieren) möchte. Woher kommen die ewigen – aus Sicht der Klientin unbegründeten und dadurch belastenden – Vorwürfe des Bruders? Nach einigen Stunden der systemischen Arbeit sind die Ursachen die sich aus der Familiendynamik, der Beziehung der Eltern zueinander und zu den Kindern ergeben erkannt. Die Klientin hat verstanden, dass der Bruder vieles auf sie projiziert. Aber was heisst das jetzt für ihren Alltag? Jetzt geht es darum, die Erkenntnisse in konkrete Handlungsstrategien zu übersetzen, denn nur wenn ich mein Verhalten ändere, kann sich auch mein Kontext ändern. Hier sind wiederum Coaching Methoden nützlich, um konkrete Handlungsweisen zu erkennen und auch einzuüben.  

Es hilft also aus meiner Sicht, Methoden sowohl aus der Beratung und aus dem Coaching zu nutzen und zu verbinden. In der Achtsamkeit sprechen wir gerne von «skillful means». Die Erfahrung lehrt uns, wann sich welche Methode anbietet. Am wichtigsten erscheint mir dabei, stets ein echtes, mitfühlendes Interesse für mein Gegenüber zu kultivieren. Dazu gehört auch ein Grundvertrauen in die innere Weisheit und Güte aller Menschen und in ihre Fähigkeit Herausforderungen zu meistern und im Bestfall daran zu wachsen.