War in den 70er Jahren wirklich alles besser?

Ein Podcast von Andrew Huberman mit Chris Palmer über Ernährung und Mentale Gesundheit hat mir in den letzten Tagen sehr zu denken gegeben. Palmer war auf einer Konferenz zu Obesity in England und dort hiess es: wir wissen nicht, warum wir diese Epidemie von Fettleibigkeit eigentlich erleiden!

"Was, das hat nichts mit Kalorieren zu tun? " fragte Huberman.  "Nein", sagte Palmer, "und auch nicht mit Junk Food." In den 70ern hätten wir doch mindestens so viel Junk gegessen wir heute, das tollste waren damals Konserven und Fertigessen, um die moderne Hausfrau zu entlasten. Ausserdem gab es ja noch gar kein «grass finished meat» und so ein Zeug, sagte Palmer.

Palmer vermutet, dass Fettleibigkeit – wie auch die Zunahme von psychischen Erkrankungen – mit unser Mitochondrien Gesundheit zu tun haben könnten. Mitochondrien sind die kleinen Energieproduzenten in unseren Körperzellen, und an der Produktion von Neurotransmittern und anderen chemischen Substanzen beteiligt. Umweltgifte wie Abgase, konventionelle Putzmittel und Pestizide schaden ihnen. Möglicherweise schadet auch Strahlung von Handies und nährstoffarme Ernährung. Sicherlich schadet ihnen auch: schlechter Schlaf, Stress und zu wenig Bewegung.

Was war denn dann so anders in den 70ern? Ich versuche mich zu erinnern, an meine Kindheit. Wie war das eigentlich? Wir haben nicht so viel Junk gegessen wie es heute üblich ist, behaupte ich; auch wenn ich so viel Schokolade essen durfte wie ich wollte und mein Taschengeld im Wesentlichen in Erdbeerschlangen und blaue Zwerge investiert habe .

Ich glaube, es war auch noch nicht üblich, Tiere systematisch mit Antibiotika zu behandeln und ihnen Superkraftfutter, von dem sie Diabetes bekommen, zu füttern. Aber vielleicht ist das eine verklärte Sicht auf die Dinge. Ich würde auch behaupten, dass nicht jeder mit dem Auto oder dem E-Bike zur Arbeit gefahren ist, sondern eher mal selbst-strampelnd mit dem Drahtesel. Und vermutlich haben noch mehr Menschen körperlich gearbeitet, wobei ich mich da auf keine Debatte einlassen möchte, ob das nun gut war oder schlecht.

Wo wir uns wohl alle einig wären, ist, dass die Umwelt weniger mit Giftstoffen belastet war. Ja, die Autos fuhren mit Blei und ohne Kat, aber der Verkehr auf den Strassen war wahrscheinlich ein 10tel, wenn nicht ein 100stel vom heutigen.. Es gab weniger Kraftwerke, weniger Fabriken und keine Handies oder Satelliten. Auch hier möchte ich nicht die Vergangenheit verklären, immerhin leben heute prozentual viel weniger Menschen auf der Welt in Armut als in den 70er Jahren.

Was allerdings in meiner Erinnerung ganz besonders deutlich heraussticht:  die Menschen waren nicht so gestresst. Mein Vater kam um 18h30 von der Arbeit. Dann hatte er Zeit bei uns vorbei zu gucken (er lebte zwei Häuser weiter). Danach ging er ins Konzert, mit Freunden Musizieren oder etwas lesen.

Meine Mutter arbeitete am liebsten in der Nacht. Dafür nahm sie es morgens gemütlich. Und zwei Mal im Jahr war sie drei  Wochen in  Griechenland an einem einsamen Strand für niemanden zu erreichen. Nicht mal die Telefonverbindung funktionierte dort richtig. Man musste in ein Telefonbüro gehen und sich von zwei grummeligen Frauen eine Verbindung herstellen lassen, die klang als wäre die Person am anderen Ende der Leitung auf dem Mond.

Und wenn ich schon gedanklich auf der einsamen Insel in Griechenland bin, fallen mir die berühmten Blue Zones ein, auf denen die meisten über 100-Jährigen leben. Eine davon liegt natürlich in Griechenland. Was macht sie so besonders? Die einen essen Fisch, die anderen vegetarisch. Liegt’s überhaupt am Essen? So wie die Fettleibigkeit vielleicht nur bedingt am Essen liegt? Was kann es also noch sein? Die Menschen lebten zum Erhebungszeitpunkt ohne Handy, Internet, social media, oder Netflix. Sie hatten vermutlich keinen überfüllten Terminkalender. Was sie hatten ist «community», Gemeinschaft, Freundschaft, Zusammenhalt.

Und das ist es, woran ich mich in meiner Kindheit erinnere: Man traf sich mit Freunden, ganz einfach zum Picknick oder Daheim. Niemand in unserem Freundeskreis gab Geld aus für unnütze Dinge, nur um zu protzen. Viele waren mehr oder weniger knapp bei Kasse und mussten sich die Ferien in einer einfachen Pension zusammensparen. Aber mir scheint, die Menschen waren viel weniger gestresst. Sie machten sich - gefühlt - viel weniger Sorgen um die Zukunft, obwohl sie wahrscheinlich keine Lebensversicherung hatten. Ich denke wieder mal an meinen Grossvater, Jahrgang 1913: Er war einfach zufrieden, wenn er in Ruhe in der Sonne ein Bierchen trinken konnte. Frieden. Genug zu essen. Die Familie einigermassen gesund.

Was hat das nun mit uns zu tun?  Hatten die Leute früher etwa keine Sorgen, Krankheiten und zu wenig Geld? Ja, klar, aber sie hatten nicht unseren heutigen Stress. Diesen dauerbeschleunigten chronisch erhöhten Kortisolspiegel mit all seinen Muskelverkrampfungen, Immunsystemunterdrückungen, Gefässverengungen, Insulinerhöhungen.

In unserer heutigen beschleunigten Leistungsgesellschaft gehören Stressmanagement und Entspannung wohl zu den wichtigsten Themen überhaupt. Dabei geht es letztlich darum, Zeit und Kraft in das zu investieren, was uns wirklich wichtig ist in diesem Leben, anstatt ständig dem vermeintlich Dringendem hinterher zu hetzten, oder?  

Dafür müssten wir uns allerdings erst einmal ernsthaft mit diesen Fragen beschäftigen: Worum geht es in diesem Leben? Wenn ich eines Tages auf mein Leben zurück blicke - und nicht nur auf meine Kindheit in den 1970ern - was wird mir wirklich wichtig gewesen sein? Und was bedeutet das für meinen heutigen Alltag, ganz konkret, im Jahre 2023? 

PS:  Wenn du mal drei Stunden Zeit hast, und etwas mehr über Mitochondrien und die Wirkung der ketogenen Ernährung auf die psychische Gesundheit wissen möchtest wäre hier noch der Podcast : https://www.youtube.com/watch?v=xjEFo3a1AnI