Werden die Ferien wieder auf den Magen schlagen?

Schon stehen wieder die Ferien vor der Tür. Für viele meiner Klientinnen ist die "schönste Zeit des Jahres" eine Herausforderung: man isst zu viel oder das Falsche, bewegt sich zu wenig oder vernachlässigt die tägliche Meditation oder Yoga Praxis.

Mir geht es eigentlich auch meistens so: in den Ferien lasse ich alles «schleifen». Endlich mal wieder einen Cappuccino mit Brioche, morgens nicht als Erste aufstehen. Einfach in den Tag leben. Am Anfang ist das toll, so viel Freiheit, Entspanntheit, sich gehen lassen, lasciarsi vivere!  

Wenn wir essen gehen und ich endlich mal nicht kochen muss, will ich’s ja auch geniessen und nicht allen den Spass verderben à la : nein sorry, ich esse kein Gluten und Zucker, eigentlich kann ich auch nichts trinken, und um 10 muss ich leider schon ins Bett.

Feiertage, Ski-Ferien und der Gleichen setzten ja quasi kulturell bedingt kollektives Schlemmen und Partymachen voraus. Aus dem Ethnologiestudium erinnere ich mich noch, dass gemeinsames Essen ein Zeichen für Freundschaft und Familie, Frieden und Vertrauen ist. Und auch heute scheint mir manchmal: wenn ich nicht am Gelage teilnehme, oder gar das großzügig kredenzte Menu in Frage stelle, gehöre ich nicht richtig dazu. Man will ja nicht die althergebrachten geliebten Traditionen in Frage stellen und der Party Pooper sein.

Aber nach einer Woche ohne Meditation und Yoga, dafür mit reichlich Gluten, Zucker und Alkohol, beginne ich mich unwohl zu fühlen. Nicht ganz zu Hause in meinem Körper. Gereizt. Schneller genervt. Mit weniger Energie.

Was ist es also mit dem Urlaub? Wieso «fallen wir vom Ross» der guten Gewohnheiten? Und wieso soll das entspannend und erholsam sein?

Wir denken gerne, dass Freiheit bedeutet: frei zu sein von Alltag, Rhythmus und Disziplin.  Die Natur hat es wohl so eingerichtet, dass wir Glück mit kurzlebiger und unmittelbarer Befriedigung unserer Bedürfnisse assozieren. Wie Judson Brewer, der Neurowissenschaftler mit Faible für Achtsamkeit, so schön schreibt: «We were conditioned to think that the feeling we get when dopamine fires in our brain equals happiness (...) but the anticipation of a reward isn’t happiness».

Stabileres Wohlbefinden erzeugen hingegen «Glückshormone», wie Oxytocin und Serotonin. Sie werden vor allem durch menschliche Nähe, gesunde Ernährung, genug Schlaf, regelmässige Bewegung und Entspannung gefördert. Sie brauchen aber mehr Zeit, um sich aufzubauen und ihre Wirkung zu entfalten.

Eine Klientin, die sich während der Weihnachtsferien an 25 hausgemachten Plätzchensorten erfreut hat, hat bei ihrer Rückkehr nach Hause eine weise Entscheidung getroffen: Anstatt Zeit mit Selbstvorwürfen zu verlieren, konzentrierte sie sich lieber darauf, in ihren gesunden Rhythmus zurückfinden. Und es klappte sofort!

Für manche von uns reicht das aber leider nicht. Gerade für Menschen, die unter Nahrungsmittelunverträglichkeiten, chronischem Schlafmangel oder starkem Übergewicht leiden ist es wichtig, bei gewissen Dingen konsequent zu bleiben. Mit einer Klientin, die starke Unverträglichkeiten managen muss, habe ich schon mehrfach den Urlaub geplant: was darf sie essen? Und wo sollte sie besser total konsequent bleiben, weil der kurze Dopamin-Kick einer Eistorte sonst zu viel Schaden anrichtet? Was wären Alternativen?

Ich selbst habe bereits die erholsamsten Urlaube erlebt, indem ich vorab ganz klar definiert habe: was macht mir wirklich Freude, ohne Schaden anzurichten? Ich kann z.B. zu einem proteinreichen Mittagessen ein Glas Wein trinken. Abend lieber nicht.

Was dabei vielen Menschen wirklich hilft, ist Gemeinschaft: sich gegenüber einer anderen Person zu «committen», vielleicht sogar abzumachen, dass man sich via WhatsApp melden darf, um Unterstützung beim Durchhalten zu bekommen. Und Lob, wenn man den Urlaub auch ohne täglichen Aperitif oder Eis genossen hat.