Orangen im Geist

Da wir mit unseren Gedanken unsere Lebensrealität wesentlich beeinflussen, ist es wichtig, einen konstruktiven Umgang mit ihnen zu pflegen. Immer wieder sagen Menschen zu mir: "Ach weisst du, Meditation ist nichts für mich, kaum setze ich mich in  Stille hin, fängt es in meinen Hirn an zu rasen." Ich antworte dann gern: "Da bist Du genau auf dem richtigen Weg. Denn du erkennst, dass unser Geist Gedanken produziert. Das tut er einfach, so wie kochendes Wasser Blasen produziert."  

Eine Teilnehmerin in meinem aktuellen Achtsamkeitskurs sprach davon, wie die vielen Orangen in ihrem Kühlschrank plötzlich eine ganz wichtige Rolle im Theater ihres Geistes einnahmen. Eine andere Teilnehmerin, die als Kindergärtnerin arbeitet, erzählte, wie hilfreich es war, ihre Gedanken während der Meditation wie Kinder zu behandeln. Den ganzen Tag kommen sie zu ihr gelaufen und rufen: "Frau Lehrerin, ich will ihnen auch noch etwas erzählen!" Sie fallen sich ins Wort, schubsen einander beiseite, nur, um gehört zu werden. Und sie nimmt ganz geduldig einen nach dem anderen dran.  

Hört aufmerksam zu. Gibt jedem Kind das Gefühl gesehen und gehört zu werden. Und geht dann zum nächsten Kind. Zum nächsten Gedanken.  

Manche Kinder sind schüchtern. Manche Gedanken ebenso. Man muss sie vielleicht proaktiv befragen: wie geht es euch?  Was möchtet ihr spielen? Manchmal sind sie einfach nur nervig. Sie drängen sich immer in den Vordergrund, obwohl man doch längst weiß, was sie einem sagen wollen. Diese ruhige, wohlwollende Haltung den eigenen Gedanken gegenüber gab der Kindergärtnerin Ruhe und Gelassenheit.  

 "Ja, liebe Gedanken, ihr dürft da sein. Ihr habt ein Recht darauf gesehen und gehört zu werden. Jeder zu seiner Zeit."

Meistens hilft es nichts, die Gedanken wegdrängen zu wollen. Es ist einfacher, sie zur Kenntnis zu nehmen und dann wieder zum Objekt der Meditation zurückzukehren. Sobald ich mich morgens auf mein Meditationskissen setze, komme ich erst mal automatisch ins Planen des bevorstehenden Tages  - egal, wie sehr ich mich aufs Meditieren konzentriere. Wie Jack Kornfield gerne sagt: viele Gedanken sind «fake news» immer wieder ähnliche Nachrichten von unserem inneren Radio. Du kannst ja mal eine Liste machen von Deinen «Top Ten Tunes», wie Jack sie nennt. 

Damit wir uns nicht unnötig verheddern, ist es hilfreich, die verschiedenen Gedankenmuster zu erkennen. Zum Beispiel Ablenkungsmuster, wie ständiges, übertriebenes Planen. Oder chronische Selbstkritik und Grübeln, à la "das kann ich ja eh nicht". "Männer dürfen keine Schwäche zeigen». « Frauen müssen immer perfekt sein».

 

Solche einschränkenden Gedankenmuster lassen sich mithilfe von Achtsamkeitstechniken sehr wirksam durch «heilsame» Gedanken ersetzen. Gedanken, die uns helfen in diesem Augenblick offen zu sein. Gedanken der Dankbarkeit und der Freude. Die bewusste Wahrnehmung von Sonnenstrahlen, Wolken oder Vogelzwitschern. Der Fokus auf Körperempfindungen. Selbst ein wahrgenommener Schmerz, wenn er nicht zu intensiv ist und bewusst erkundet wird, vermag unsere Achtsamkeit zu schulen und unsere Gedanken wieder auf das Hier und Jetzt zu lenken.

 

"Wir sind, was wir denken", das sagte schon Buddha. "Alles, was wir sind, entsteht aus unseren Gedanken. Mit unseren Gedanken formen wir die Welt." Ob wir es nun mit Orangen, Radiosongs, oder kleinen Kindern zu tun haben - es lohnt sich, sie freundlich aber bestimmt in die Schranken zu weisen. So bleibt mehr Raum für jene «heilsamen Geisteshaltungen», die uns wirklich guttun: Gelassenheit, Freundlichkeit, Wohlwollen, Mitgefühl, Freude und Dankbarkeit.